Vortrag von Kreisarchivar Dr. Edwin Ernst Weber zur Eröffnung einer Ausstellung mit ausgewählten Dokumenten aus dem Gemeindearchiv Walbertsweiler am 28. Oktober 2006 im Dorfgemeinschaftshaus Walbertsweiler
Auf den ersten Blick enthält die vollmundig angekündigte Schatzkammer des Gemeindearchivs nur höchst bescheidene und zumal reichlich junge Pretiosen: Von den 1150 Jahren der schriftlich belegten Ortsgeschichte von Walbertsweiler, die die Ortschaft vor zwei Jahren mit beträchtlichem Stolz und Selbstbewusstsein gefeiert hat, haben im kommunalen Archivbestand gerade einmal die letzten 231 Jahre ihre Spuren hinterlassen. Das älteste Dokument im Gemeindearchiv datiert aus dem Jahr 1775 und ist eine von der Klosterwalder Oberamtskanzlei bestätigte Darlehensaufnahme der „Ehrsammen Gemeindt Waldpertsweÿler“ in Höhe von 600 Gulden und gegen 5 Prozent Verzinsung beim damaligen Pfullendorfer Stadtammann Franz Xaver Walter (GA Walbertsweiler | Best.-Nr. 43). Als Sicherheit haften die Gemeindebürger gemeinsam mit ihrem mobilen Besitz gegenüber dem Kreditgeber. Eine kommunale Kreditaufnahme mit Schuldverschreibung der Einwohnerschaft als das ehrwürdigste Dokument im Gemeindearchiv! Ein klein wenig mehr geschichtlichen Glanz würde man sich selbst in einer kleinen Landgemeinde wie Walbertsweiler schon wünschen!
Gleichwohl sagt gerade dieses geschichtliche Zeugnis über Walbertsweiler und seine kommunale Vergangenheit doch einiges aus. Zum einen besteht in der Ortschaft bereits vor rund 230 Jahren eine handlungsfähige und überdies noch kreditwürdige Dorfgemeinde als genossenschaftlicher Verbund der hier ansässigen und verbürgerten Bauern und Seldner, die für die Schulden ihrer Kommune überdies mit ihrem Privatbesitz einstehen. Wenn in der Darlehensbestätigung davon die Rede ist, dass die Gemeinde Walbertsweiler mit dem Pfullendorfer Kredit eine ältere Schuld ablöst, so belegt dies überdies, dass die kommunale Schuldenwirtschaft nicht erst eine Erfindung der Gegenwart ist, sondern bereits von früheren Generationen beherrscht wurde.
Die Gemeinde und deren Verwaltung hat in ländlichen Kleinsiedlungen vom Zuschnitt Walbertsweilers vor 231 Jahren und letztlich auch noch vor 50 Jahren
wenig mit den hauptamtlich besetzten und professionell agierenden Kommunalverwaltungen zu tun, wie wir diese seit der Gemeindereform der 1970er Jahren auch im ländlich strukturierten Landkreis Sigmaringen als Selbstverständlichkeit kennen. Bis vor rund 30 Jahren ist in Walbertsweiler und in
einer Vielzahl von Nachbardörfern die Gemeindeverwaltung ein Feierabendgeschäft von Bürgermeistern, Gemeindepflegern und Ratschreibern, die im Haupt- und Brotberuf als Bauern oder Handwerker tätig sind und in aller Regel über keinerlei Verwaltungsausbildung verfügen.
Der ältesten im Archivbestand erhaltenen Gemeinderechnung von 1901/02 zufolge besteht das ganz kommunale Verwaltungspersonal in Walbertsweiler zu dieser Zeit aus den nebenberuflich tätigen Bürgermeister und Gemeinderechner, weiter dem Polizeidiener, einem Hilfsnachtwächter, einem Kiesgrubenarbeiter, Wegewarten, einem Farrenwärter und einem Spritzenmeister (GA Walbertsweiler || Best-Nr. 1). Zudem stehen noch der Dorfschullehrer sowie die Hebamme als einzige weibliche Bedienstete auf der Gehaltsliste der Dorfgemeinde.
Weiterhin typisch für Klein- und Zwerggemeinden vom Zuschnitt Walbertsweilers ist sodann eine weitgehende „Heimatlosigkeit“ der Kommunalverwaltungen. Mit Ausnahme von größeren Ortschaften wie Wald oder Krauchenwies kommt die überwiegende Mehrzahl der Kleingemeinden im heutigen Landkreis Sigmaringen noch bis zur Kommunalreform zumeist ohne Rathaus und damit ohne feste Bleibe für ihre Verwaltung sowie ihr Verwaltungsschriftgut in Registratur und Archiv aus. In Walbertsweiler beispielsweise verfügt man bereits seit den 1770er Jahren über ein eigenes Schulhaus zwischen Kirche und Pfarrhaus, das sodann in den 1860er Jahren durch einen durchaus stattlichen Neubau am heutigen Standort ersetzt wird.
1901 umfasst der kommunale Gebäudebestand überdies den Ortsarrest, das Spritzenhaus, den Farrenstall sowie ein Armenhaus. In den 1950er Jahren kommt
noch ein neu erbautes Gemeindehaus mit öffentliche Waschküche, Backstube, Badeanlage und einer Mietwohnung hinzu (GA Walbertsweiler | Best.-Nrn. 222, 401). Ein eigenes Rathaus besitzt die 1950 349 Bewohner zählende Ortschaft demgegenüber nicht, Bürgermeister und Gemeinderechner „amten“ vielmehr in ihren privaten Wohnhäusern. Erst mit dem Kauf des leer stehenden alten Pfarrhauses in den 1960er Jahren kommt die Walbertsweiler Gemeindeverwaltung erstmals zu einem festen Dienstsitz, der zehn Jahre später von der Ortschaftsverwaltung zugunsten des inzwischen gleichfalls freien Schulhauses aufgegeben wird Neuerdings zu einem Dorfgemeinschaftshaus erweitert dient das frühere Schulhaus bis heute als Sitz der Ortschaftsverwaltung und überdies als Unterkunft für verschiedene Vereine.
Es kann nicht überraschen, dass angesichts dieser „Heimatlosigkeit“ der
Gemeindeverwaltung die kommunale Schriftgutverwaltung lange Zeit einen schweren Stand hatte. Nachdem die Archivberatungsstelle des hohenzollerischen Landeskommunalverbandes 1939 bei einem Inspektionsbesuch in Walbertsweiler immerhin ein eigenes Archivzimmer im „Gemeindehaus“, hinter dem sich wohl das Schulhaus verbirgt, entdecken konnte, findet sich bei der nächsten Visite 1956 die laufende Gemeinderegistratur in einem Aktenschrank im Wohnhaus des damaligen
Bürgermeisters Jerg, während die aus Rechnungen ab dem Jahr 1901 bestehende „Altregistratur“ in einem Dachzimmer des Gemeindehauses untergebracht ist.(1)
Immerhin fällt auf, dass die im Gemeindearchiv erhaltenen Verwaltungsakten aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert sorgfältig angelegt, nach dem hohenzollerischpreußischen Gemeinderegistraturplan geführt und nach preußischem Muster in der sog. Fadenheftung blattweise zu Aktenheften vernäht wurden. Hier hat mit großer Wahrscheinlichkeit eine strikt wahrgenommene Kommunalaufsicht des zuständigen preußischen Oberamts zunächst in Wald und seit 1862 in Sigmaringen für Ordnung auch in der gemeindlichen Aktenführung gesorgt. Anhand der Aktenstruktur lässt sich im übrigen mit einem Blick die Zugehörigkeit einer Gemeinde zu Hohenzollern, Baden oder Württemberg ermitteln: Während die preußischen Akten, wie erwähnt, eine aufwändige Fadenheftung aufwiesen, zeichnen sich die badischen
Verwaltungsakten durch den sog. badischen Knoten, also eine leichter handhabbare Oberrandheftung aus. Entgegen aller Vermutung am leichtesten machen es sich die württembergischen Verwaltungsbehörden, die ihr Schriftgut ohne weitere Sicherung einfach lose in Mappen einlegen.
Mit der Büroreform in den 1920er Jahren und einer nicht mehr ganz so strengen staatlichen Kommunalaufsicht nach dem Ersten und zumal dem Zweiten Weltkrieg büßen die Walbertsweiler Gemeindeakten rasch ihre strenge Ordnung ein. Zu Beginn der 1950er Jahre gibt man die altertümliche, noch nach einem Rubrikensystem gegliederte hohenzollerische Gemeinderegistraturordnung auch in Walbertsweiler auf, steigt auf den modernen württembergischen Flattichplan als Ordnungssystem für die Gemeinderegistratur um und führt seither auch hier lose Aktenmappen mit allen damit verbundenen Risiken der Unordnung und des Verlustes von Verwaltungsunterlagen. Zum Ende der 1960er Jahre ist man dann in der Walbertsweiler Gemeindeverwaltung geradezu „up to date“, als man nur wenige Jahren nach dessen Aufkommen den noch fast druckfrischen „Aktenplan für die Gemeinden und Landkreise in Baden-Württemberg“ (Boorberg-Plan) einführt, so dass die hiesige Verwaltungsüberlieferung zuletzt insgesamt drei
Registraturschichten aufweist.
Mit einem Umfang von gerade einmal 6,5 laufenden Metern erscheint das Walbertsweiler Gemeindearchiv ungewöhnlich schmal. Die weitaus kleinere, gleichfalls ehemals hohenzollerische Ortschaft Oberndorf bei Herdwangen, deren Kommunalarchiv unlängst ebenfalls vom Kreisarchiv geordnet und verzeichnet worden ist, bringt es immerhin auf 8,5 Meter. Während der ältere Walbertsweiler Aktenbestand durchaus gehaltvoll erscheint und viele Facetten der dörflichen und kommunalen Entwicklung vom ausgehenden 18. bis ins 20. Jahrhundert dokumentiert, ist die jüngere Aktenüberlieferung von den 1920er Jahren bis zur Gemeindereform teilweise weitaus weniger ergiebig und enthält nahezu durchgehend einen Uberhang an Generalbetreffen der vorgesetzten staatlichen Stellen gegenüber ortsspezifischen Vorgängen. Auffallend bescheiden ist sodann die mit dem Jahrgang 1901/02 einsetzende Serie der Gemeinderechnungen, die sich anderenorts in Hohenzollern bis in das beginnende 19. oder gar ausgehende 18 Jahrhundert zurückverfolgen lässt. Schmerzliche Verluste haben weiter auch die Gemeinderatsprotokolle erlitten, von denen sich gerade einmal zwei gebundene Bände zu den Zeiträumen von 1903 bis 1939 sowie von 1956 bis 1974/84 erhalten haben. Dass hier einmal mehr vorhanden gewesen sein muss, offenbare zahlreiche Protokollauszüge in den Sachakten des 19. Jahrhunderts.
Ungeachtet solcher Lücken hat das Walbertsweiler Gemeindearchiv gleichwohl eine Fülle einmaliger und unersetzlicher Zeugnisse zur Geschichte dieser hohenzollerischen Ortschaft und ihrer Bewohner zu bieten. Gut dokumentiert ist die Aufhebung der herrschaftlichen und genossenschaftlichen Bindung des bäuerlichen Bodens bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts durch die Ablösung der herrschaftlichen Feudallasten sowie die Aufteilung des dörflichen Allmendbesitzes. Die – materiell allerdings nur wenig bedeutsame – Leibeigenschaft mit den damit verknüpften Sterbfall- und Manumissionsgebühren wurde 1842 durch eine auf alle Leistungspflichtigen umgelegte Ablösungszahlung endgültig beseitigt (GA Walbertsweiler | Best-Nr. 477). Unübersehbar zeigen die Walbertsweiler Archivalien das bäuerliche Selbstbewusstsein und die Streitbarkeit der Bevölkerung dieser Ortschaft. 1835 beispielsweise verweigert man sich gemeinsam mit den Angehörigen des Filialortes Kappel hartnäckig, ungeachtet aller Einwirkungen der kirchlichen und staatlichen Stellen, der geforderten Leistung von Hand- und Spanndiensten für Baumaßnahmen am Walbertsweiler Pfarrhaus (GA Walbertsweiler | Best.-Nr. 60). Ebenso wenig wollen die beiden Gemeinden drei Jahre zuvor von der auf ihre Kosten vorzunehmenden Verlegung des Friedhofes von der alten Kirche in das Gewann „Grundösch“ außerhalb des Ortes wissen und gehen mit ihrem Widerstand -allerdings letztlich erfolglos – sogar bis vor das württembergische Appellationsgericht in Stuttgart (GA Walbertsweiler | Best.-Nr. 172). Mit großer Hartnäckigkeit verteidigt die bäuerliche Bevölkerung von Walbertsweiler gemeinsam mit anderen ehemals klosterwaldischen Untertanenorten ihre Holzgerechtigkeit gegenüber dem Fürstenhaus Hohenzollern, das mit der Säkularisation vom aufgehobenen Kloster Wald die Verpflichtung zur Lieferung von Bau- und Brennholz an bäuerliche Lehenshöfe wie auch an die Schulen in der ehemaligen Klosterherrschaft übernommen hatte. Das Anrecht auf die fürstliche Holzlieferung bewahrt sich die Gemeinde Walbertsweiler gemeinsam mit benachbarten Schulverbänden auch gegen die Begehrlichkeiten der Lehrer, die das Holz für sich anstelle der Schulträger beanspruchen und dafür gleich mehrere Prozesse führen (GA Walbertsweiler | Best.-Nr. 133). Erst nach der Gemeindereform kommt es im Gefolge einer veränderten Rechtssprechung dann zu einer Ablösung der fürstlichen Beholzungspflicht – zu allerdings erheblich ungünstigeren Bedingungen, als dies einige Jahre zuvor noch bei einer freiwilligen Übereinkunft möglich gewesen wäre.
Überdurchschnittlich qualitätsvoll und reichhaltig ist die Überlieferung des Gemeindearchivs zum dörflichen Schulwesen. Bis in das Schuljahr 1796 zurück reichen die vom damaligen Lehrer Johann Baptist Schweikart geführten tabellarischen Listen der Walbertsweiler Schüler, ihrer schulischen Leistungen in den damaligen Lernfächern von der Katechismuslehre über Buchstabieren, Lesen und Schreiben bis zum sittlichen Betragen und schließlich und vor allem auch ihrer – von den Bedürfnissen der elterlichen Landwirtschaft bestimmten – Fehlzeiten in der damaligen Winterschule (GA Walbertsweiler | Best.-Nr. 20). Die Lehrertätigkeit ist zu dieser Zeit und noch bis weit in das 20. Jahrhundert hinein fest mit dem Mesmerdienst verbunden und letztlich auch nur durch diese Doppelfunktion finanziell überhaupt ertragreich. Zwei regelrechte Kleinode im Archivbestand sind dem langjährigen Pfarrer Joseph Dionys Ebe zu verdanken, einem ehemaligen Zisterzienserpater aus Salem, der nach der Aufhebung seines Kloster durch die Säkularisation eine neue Aufgabe in der Pfarrseelsorge gefunden hatte und von 1807 bis 1834 in Walbertsweiler tätig war. Neben dem Obstbau gehörte sein besonderes Interesse der Hebung und Verbesserung des ländlichen Schulwesens, das dem Dorfpfarrer in Walbertsweiler auch in seiner Funktion als lokaler Schulaufseher anvertraut war. Seine pädagogische Interessen dokumentiert sein 1811 eigenhändig verfasstes „Lesebuch für die Stadt- und Landschulen“, das den Schülern über ihre Schullaufbahn hinaus, wie Ebe in seinem Vorwort schreibt, „zu einem nützlichen Hand-und Hausbuche dienen“ sowie „euch in euerem Betragen, Geschäften, Verfallenheiten dieses Lebens Belehrung, Einsicht, Rath, Trost und Zufriedenheit ertheilen und somit euch beglücken wird.“ (3)
Im Walbertsweiler Gemeindearchiv ist der frühere Ortspfarrer Ebe mit einem umfangreichen Vorbericht in dem seit 1814 von Lehrer Johann Baptist Schweikart geführten „Verzeichnißbuch des täglichen Erscheinen oder Nichterscheinen der schulfähigen Kinder in der Werktagschule“ präsent (GA Walbertsweiler | Best.-Nr. 21). Dieser im August 1814 verfasste, höchst interessante Vorbericht des Pfarrers und Schulaufsehers bietet neben einer praktischen Anleitung zur Herstellung einer „guten Dinte“ knappe Abrisse zur örtlichen Schulgeschichte, eine Beschreibung des in den 1770er entstandenen Schulhauses, Beiträge zu den Schullehrern und ihrer Besoldung, zur landesherrlichen Schulordnung, zu den Lehrgegenständen und schließlich auch zu den Verhaltensregeln der Schüler u n d hier insbesondere Empfehlungen, „wie sich die Schüler gegen ihren Lehrer verhalten sollen“. Ein archivalisches Juwel von nicht geringerer Bedeutung bildet der 1808 gleichfalls von Ebe eigenhändig gezeichnete „Grundriß der Kirche und des Kirchhofes der Pfarre Waldpertsweiler samt den Familien-Begräbnissen, nach den Haus-Nummern bezeichnet, und der Gräber aller, so ich (…) begraben habe“ (GA Walbertsweiler IV Best.-Nr. 1). Neben den nach den dörflichen Hausnummern geordneten und mit den Sterbedaten der Toten bezeichneten Familienbegräbnissen enthält der Plan überdies ein nach Monaten gegliedertes Jahrtagsverzeichnis sowie eine kolorierte Zeichnung von Pfarrhaus nebst Ökonomie und Pfarrgarten sowie der damaligen Dorfkirche mit Turm. Auf einem kunstvoll gezeichneten und mit einem Opferkelch bekrönten Sockelquader hat sich Pfarrer Ebe mit einer lateinischen Inschrift als Urheber von Plan und Zeichnung selbst verewigt.
Eine weitere Hinterlassenschaft dieses aufgeklärten und der Erziehung und Bildung seiner Gemeindekinder verpflichteten Seelsorgers ist die von ihm und zwei weiteren Pfarrern geführte Walbertsweiler Pfarrchronik, die mit ihren höchst interessanten Schilderungen der dörflichen Kirchen- und Lebensverhältnisse in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts mittlerweile im Erzbischöflichen Archiv Freiburg verwahrt wird und unlängst vom Heimatforscher Falko Hahn eine ansprechende Auswertung erfahren hat.* Sollte in Walbertsweiler in nächster Zeit noch ein Straßenname zu vergeben sein, so wäre dieser rührige und verdiente Dorfpfarrer aus dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts unbedingt zu berücksichtigen.
Interessante Aufschlüsse zur baulichen Entwicklung der Ortschaft im 19. Jahrhundert vermitteln die im Zuge der Landesvermessung 1844 angelegten Flurkarten. Die Karte mit dem überbauten dörflichen Etterbereich von 1844 (GA Walbertsweiler IV Best.-Nrn. 4 u. 7) erlaubt im Abgleich mit der bis in die 1880er Jahre fortgeführten Ergänzungskarte (GA Walbertsweiler IV Best.-Nr. 8) die Rekonstruktion aller baulichen Veränderungen in diesem Zeitraum und hier zumal den Neubau der Pfarrkirche 1868 an einem neuen Standort sowie die in analoger Weise erfolgende Verlegung der Schule vom bescheidenen Vorgängerbau zwischen alter Kirche und Pfarrhaus aus den 1770er Jahren in das heute als Rathaus genutzte stattliche neue Schulgebäude. Von besonderem Reiz ist die Ergänzungskarte durch die gleichzeitige Wiedergabe der alten und der neuen Kirche, wobei das alte Gotteshaus kurze Zeit später schon abgerissen wird und das Gelände als Pfarrgarten Verwendung findet.
Gut dokumentiert ist im Gemeindearchiv sodann auch der Einbruch der modernen Zeit mit Technik und Infrastruktur in den ländlichen Kosmos. So finden sich beispielsweise Unterlagen zum Anschluss der Ortschaft an das Stromnetz der Oberschwäbischen Elektrizitätswerke seit 1912 (GA Walbertsweiler | Best.-Nr. 59), zum allmählichen Ausbau der Landstraße von Meßkirch nach Wald zu einer vielbefahrenen und überörtlich bedeutsamen Fernverbindung (GA Walbertsweiler | Best.-Nr. 84) und zur Einrichtung einer Postautoverkehrslinie von Pfullendorf über Wald nach Meßkirch mit einer Kostenbeteiligung aller Anrainergemeinden 1926 (GA Walbertsweiler | Best.-Nr. 83). Die zunehmende Mobilität der dörflichen Bevölkerung Zeigt sich an einer 1955 erstellten Auflistung der mittlerweile zahlreichen Führerscheininhaber im Ort, darunter auch bereits die ersten Frauen (GA Walbertsweiler | Best.-Nr. 91). Dass Freizeitaktivitäten und insbesondere der Sportim 20. Jahrhundert allmählich auch die dörflich-bäuerliche Welt erreichen, offenbart ein 1950 abgeschlossener Grundstückspachtvertrag zwischen dem Fürstlich Hohenzollernschen Forstamt Wald und der Gemeinde Walbertsweiler zur Nutzung eines Grundstücks im Distrikt „Leopoldswald“ als Sportplatz durch den FC Walbertsweiler (GA Walbertsweiler | Best.-Nr. 170).
Spuren haben im Gemeindearchiv weiter auch die Gewaltherrschaft des Nationalsozialimusmus, der Zweite Weltkrieg sowie die französische Besatzungszeit hinterlassen. Im Vordergrund der Überlieferung stehen die Gefallenen, Vermissten und Kriegsgefangenen des Weltkriegs aus Walbertsweiler (GA Walbertsweiler I Best.-Nr. 173, 195) und die Requisitionen durch die französische Besatzungsmacht (GA Walbertsweiler | Best.-Nr. 212). Durch den Zuzug zunächst von ausländischen Zwangsarbeitern, von Evakuierten aus den luftkriegszerstörten Großstädten und schließlich von Heimatvertriebenen aus den deutschen Ostgebieten veränderte sich die Bevölkerungsstruktur in Walbertsweiler nachhaltig und letztlich auf Dauer (GA Walbertsweiler | Best.-Nr. 146). Gut dokumentiert ist schließlich auch noch das Ende der selbstständigen Gemeinde Walbertsweiler im Gefolge der Kommunalreform 1975 (GA Walbertsweiler | Best.-Nr. 226, 231). Nachdem die Gemeinde sich zunächst 1970 noch gegen eine Aufgabe der „Eigen- und Selbstständigkeit“ gewehrt hatte und an der erst kurz zuvor beschlossenen Verwaltungsgemeinschaft festhalten wollte, fügte man sich 1974 in einer Abstimmung im Gemeinderat doch einmütig in das Unvermeidliche, und Bürgermeister Wachter unterzeichnete am 7. Juni 1974 zusammen mit seinem Walder Kollegen Zeh die Vereinbarung über die Eingliederung seiner Gemeinde nach Wald, die sodann zum 1. Januar des Folgejahres wirksam wurde.
Die aus der Verwaltungstätigkeit der Gemeindeadministration erwachsenen Unterlagen präsentieren sich nach der archivfachlichen Bewertung des Erhaltenswerten, der Ordnung auf der Grundlage der alten Registraturzusammenhänge und schließlich der Erschließung und Inventarisierung in einem Repertorium als Fundgrube zur Geschichte des Dorfes, der Gemeinde und der Bevölkerung von Walbertsweiler. Es sind durchweg einmalige und unersetzliche Quellenzeugnisse, die im Unterschied zu der in den Staats-, Kreis- und Adelsarchiven dokumentierten staatlich-obrigkeitlichen Außenperspektive die dörfliche Innenansicht wiedergeben. Es sind Dokumente zu den dörflichen Verhältnissen und Vorgängen, die in der Ortschaft selbst entstanden sind und von Bewohnern des Ortes in Gestalt von Bürgermeister, Gemeinderechner, Lehrer oder auch Ortspfarrer angelegt worden sind. Jeder Heimatforscher oder Wissenschaftler, der sich mit der Vergangenheit von Walbertsweiler und seiner Bewohner in den letzten 231 Jahren beschäftigen will, wird zentral auf diesen kleinen, aber, wie geschildert, durchaus gehaltvollen Archivbestand zurückgreifen müssen. Es sind einmalige Zeugnisse der dörflichen Geschichte, die nicht weniger als das alte Pfarrhaus, d a s Schulhaus oder manches Kunstwerk in der neuen Pfarrkirche die bleibende Bewahrung und Erhaltung für künftige Generationen verdienen.
Es ist deshalb gut angelegtes öffentliches Geld, das die Gemeinde Wald in den
vergangenen fünf Jahren im Umfang von ca. 5500, – € in die restauratorische und
konservatorische Sicherung sowie die archivfachliche Ordnung und Erschließung
dieser wertvollen und unersetzlichen Dokumente zur Geschichte der Ortschaft
Walbertsweiler investiert hat. Gemeinsam mit dem Kreisarchiv Sigmaringen sowie der Restaurierungswerkstatt Raum hat die Gemeinde mit dieser über mehrere Haushaltsjahre gestreckten Maßnahme Kulturgut der Vergangenheit für künftige Generationen gesichert und erhalten und damit auch einen wesentlichen Beitrag zur Kenntnis der eigenen Herkunft und Vergangenheit und damit zur lokalen und regionalen Identität der Bevölkerung geleistet, die als Gegenpol in einer zunehmend globalen Welt und Gesellschaft immer größere Bedeutung erlangen wird.
Nahezu fünf Jahre haben der Landkreis Sigmaringen und sein Kreisarchiv diesen Schatz im Auftrag der Gemeinde Wald in die Obhut genommen, ihn gesichert, geordnet, verzeichnet und nutzbar gemacht. Die Bearbeitung der insgesamt 782 Archivalien, die sich auf vier sogenannte Bestände der Akten, der Amtsbücher und Rechnungen, der Schulunterlagen und schließlich der Karten und Pläne verteilen, wurde unter der fachlichen Aufsicht des Kreisarchivars vom Werkstudenten Tobias Teyke und der Archivangestellten Angela Vielstich geleistet. Das Kreisarchiv gibt den gesicherten Archivbestand mitsamt einem Findbuch als Schlüssel zum Zugang zu diesen Unterlagen heute an die Gemeinde Wald, die Ortschaft Walbertsweiler und ihre Bewohner zurück – in der Hoffnung, dass die im Gemeindearchiv enthaltenen einmaligen und unersetzlichen Zeugnisse der dörflichen Geschichte eine bleibende Fürsorge, Wertschätzung und nicht zuletzt auch Nutzung für das Wissen und die Kenntnis um die eigene Herkunft und Vergangenheit erfahren.
Überreichung der Findbücher an Bürgermeister Müller und Ortsvorsteher Bosch
1. Archivpflege in den Gemeinden, Gemeinden T – Z, 1934 – 1966 (StAS Ho 337 Nr. 15).
2. Zu Pfarrer Joseph Dionys Ebe (1773 – 1834) vgl. Falko Hahn: Der verschreyte Pfarrort. Streithähne im Weinberg Gottes. Eine Pfarrchronik um Macht, Ohnmacht und Tod in Walbertsweiler, Wald-Sentenhart 2002 –
3. „Das „Lesebuch“ wird mitlerweile im Erzbischöflichen Archiv Freiburg verwahrt. Eine Transkription besorgte Falko Hahn aus Sentenhart.
4. Hahn, „Der verschreyte Pfarrort“ (wie Anm. 2).



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